Kompetenzen der Lehrkräfte weiter entwickeln
Laut forsa Studie schätzt mehr als die Hälfte der Schulleitungen (54%), dass (fast) alle Lehrkräfte ihrer Schule an mindestens einer qualitativ angemessenen Fortbildung zum Einsatz digitaler Endgeräte im Unterricht teilgenommen haben. Damit ist der Anteil im Vergleich zum Vorjahr weiter gestiegen. Das bedeutet aber, dass fast die Hälfte der Schulleitungen feststellt, dass noch nicht alle Lehrkräfte wenigstens eine (!) Schulung erhalten haben!
Und dass in Zeiten einer technischen Revolution: Noch nie hat eine Technologie so viele Nutzer in so kurzer Zeit gewonnen wie die in den letzten 1,5 bis 2 Jahren entstandenen Anwendungen der generativen KI wie zum Beispiel ChatGPT. Die Nutzungs-Möglichkeiten sind heute schon enorm, viele Schülerinnen und Schüler (und Studierende) haben das schon herausgefunden. Wie viele Lehrkräfte hingegen haben sich in Schulungen intensiv mit dem Thema befasst bzw. befassen dürfen? Wer baut KI-Tools in seine Schulstunden ein, anstatt davor zu warnen, dass die Schülerinnen und Schüler sie ungefragt und ohne zu hinterfragen nutzen?
Die Fragen nach den digitalen Kompetenzen beziehungsweise der Kompetenzentwicklung für Lehrkräfte beschäftigt uns schon sehr lange. Schon vor dem KI-Hype wurde Hardware und/oder Software beschafft, ohne die Lehrkräfte darauf zu schulen (siehe oben). Vollkommen menschlich ist es dann, sich vor versammelter Klasse nicht zum Deppen zu machen, sondern sich den bekannten Materialien und Medien mit Stift, Papier, Kreide oder Folie zuzuwenden. Kurzum: Die Technik muss funktionieren, und man muss sie beherrschen (können)!
Was ich gut finde: Hochwertige Angebote, sowohl von privaten Initiativen als auch öffentlichen Einrichtungen, gibt es ausreichend.
Was mir noch fehlt: In einzelnen Bundesländern gibt es zwar unterschiedliche Regelungen zur Fortbildungspflicht für Lehrkräfte. Ich kenne jedoch kein umfassendes Programm, dass sich mit der aktuellen Entwicklung von Technologien beschäftigt, Auswirkungen der Digitalen Transformation auf unsere Gesellschaft und die Schülerinnen und Schüler behandelt und den Lehrkräften die Möglichkeiten dieser neuen Welt für ihre Pädagogik aufzeigt. Besonders betonen würde ich in diesem Programm die Bedeutung der Cybersecurity und der Medienkompetenz.
Föderalismus, Bürokratie, kommunale Selbstverwaltung und pädagogischer Individualismus vs. Standardisierung
Eigentlich liegt es doch auf der Hand, oder? Ein höherer Grad an Standardisierung, einheitliche Anforderungen an Technologie, gemeinsame Beschaffungen von Hardware oder Software würden schon bei einer Zahl von 2 gemeinsamen Einkäufern zu Kostenvorteilen gegenüber einem einzelnen Einkäufer führen.
Tatsächlich gibt es ja bereits öffentliche Organisationen, Verbünde und Zweckverbände, die Rahmenvereinbarungen abschließen und gemeinsame Beschaffungsprozesse organisieren.
Warum dieses Prinzip allerdings noch nicht flächendeckend erkannt und umgesetzt ist, erschließt sich mir nicht. Lieber haben wir in allen 16 Bundesländern unterschiedliche Vorgaben, Anforderungen und Regeln in Bezug auf Hardware, Software und Datenschutz, lieber beharren wir auf dem Recht der kommunalen Selbstverwaltung und der Freiheit der Pädagogik. Wobei sich mir in letzterem Beispiel nicht erschließt, warum es eine Einschränkung der Pädagogik sein sollte, überall die gleichen Standards für Internetleitungen und Netzwerkinfrastrukturen zu definieren.
Um Fördermittel aus dem DigitalPakt Schule zu erhalten, sollte jede einzelne Schule und jeder Schulträger ein eigenes Konzept schreiben – was für ein administrativer Wahnsinn und Konjunkturprogramm für entsprechend spezialisierte Beratungsunternehmen. Vor allem im Hinblick auf die technologische Basis-Ausstattung, die in dem Programm zuvorderst gefördert wurde, hätten sich einige tausend Lehrkräfte- und Schulleitungs-Arbeitsstunden sparen lassen können.
Was ich gut finde: Kommunale Zweckverbände, landesweite Einkaufsgemeinschaften, die kompetent in der Beschaffung sind, die Preis- und Leistungsvorteile erzielen, ohne das billigste Angebot nehmen zu müssen.
Was mir noch fehlt: Mehr Standards, ohne die Individualität der Pädagogik zu gefährden. Und endlich ein Verständnis für die pure Notwendigkeit der weiteren Investitionen in die Bildung. Raus aus den Förderprogrammen, rein in die reguläre Haushaltsplanung mit den Budgets!
Internetrevolution vs. Bildungsrevolution
Eine Revolution des Bildungssystems würde ich an dieser Stelle nicht ausrufen wollen. Dennoch sollten wir uns mit der Frage auseinandersetzen, ob wir insgesamt in Deutschland verstanden haben, in welcher Phase der tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzung wir uns befinden, die vor allen Dingen durch technologische Entwicklungen, wenn auch nicht vorangetrieben, dann doch ermöglicht wird.
Eine der bemerkenswerten Geschichten aus der Europawahl im Juni 2024 ist für mich die Geschichte eines zypriotischen Influencers namens Fidias Panagiotou, der ohne die Unterstützung einer etablierten Partei auf Anhieb den Einzug ins Europarlament schaffte – mit einem Ergebnis von 19,3%!
Ein ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten, mittlerweile verurteilter Straftäter, nutzt nicht nur fremde Social-Media-Kanäle, sondern gründet einfach sein eigenes soziales Netzwerk, um seine Followerschaft mit gefälligen Inhalten zu bespielen und zu beeinflussen. Warum? Weil er es kann!
Die Anzahl der Cyberangriffe aus Russland und China ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Laut einer Studie des Digitalverbands Bitkom erleiden deutsche Unternehmen jährlich einen Schaden von rund 148 Milliarden Euro durch Cyberangriffe, Tendenz steigend.
Es ist heute überhaupt nicht mehr die Frage, ob uns Technologie zur Verfügung steht, die potentiell gesellschaftliche Verwerfungen hervorrufen kann.
Die Frage ist, ob wir mit unserer gesellschaftlichen (Aus- bzw. Schul-)Bildung in der Lage sind, diese Möglichkeiten und auch die Risiken zu verstehen und sie im Zweifel für unsere (natürlich guten) Zwecke einzusetzen.
Was ich gut finde: Die Möglichkeiten, die uns Technologie heute bietet.
Was mir noch fehlt: Das Bewusstsein für die potentielle Bedeutung dieser Möglichkeiten, im Positiven wie im Negativen. Eine Aufklärungskampagne? Vielleicht schon zu spät, weil der eine glaubwürdige Absender eh nicht mehr von allen akzeptiert wird… Also vielleicht doch eine (Bildungs-)revolution.
Neben der Weiterbildung der Lehrkräfte spielen auch strukturelle und organisatorische Aspekte eine wichtige Rolle im deutschen Bildungssystem. Darauf werde ich im nächsten Beitrag näher eingehen.
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